Auf einer Wäscheleine, hängen jeweils mit einer Wäscheklammer befestigt, Zeichnungen von Penisbildern als Tarot-Karten.

Willkommen im sexistischen System – Meine Geschichte zum DickPic Tarot

In einer Zeit in der Twitter noch keine Anfrage-Option für Direktnachrichten hatte und Bilder direkt in meiner Inbox landeten… ich weiß schon gar nicht mehr wie viele Penisbilder ich mir da ungewollt angeguckt habe.
Seit dem ist viel passiert.

Ich habe mein Internetverhalten geändert, Internetseiten haben nachgerüstet und mit einem Handschlag hatte ich eine Firma mit wundervoller Unterstützung, um ein Tarot-Kartenspiel zu bauen. Anstelle eines Karten-Sets, wurde es ein Ausmalbuch. Anstelle der Genugtuung, welche ich mir durch das Projekt gewünscht hätte, bekam ich einen Einblick wie tief sexuelle Belästigung in unserer Gesellschaft auf verschlossene Augen stößt und habe mein Vertrauen in die Polizei verloren. Eines der Dinge, die ich gelernt habe: Eine Firma gründen geht schneller als man denkt und ist spaßiger als ich dachte. Etwas vor dem ich definitiv die Angst verloren habe. Die ersten Schritte sind spannend. Geschäftsanmeldung, erstes Geld investieren und am Ende sitzt man auf einem Stapel Outlines von DickPics. Webseiten werden gebaut, Finanzpläne gemacht, erste Steuererklärung, usw. Ich habe selten so viel Neues gelernt und dabei einen wundervollen Freund und Mitgründer gewonnen.

Das Projekt

Ich hatte nie Ahnung, oder Interesse an Tarot. Und ganz ehrlich; Wahrsagen? Absoluter Unfug, aber die Anzahl der Penisbilder sprengt nun mal alle anderen Kartenspiele. Wir finden eine Designerin, sortieren die Bilder, machen die Outlines fertig, sprechen mit Kickstarter und anderen Projektgründer:innen… es läuft, wenn auch langsam. Für alle Beteiligten ist es ein kleines Nebenprojekt.

Der Plan mit dem Infomaterial

Mein Ziel war es nicht einfach nur ein Kartenspiel in die Welt zu werfen. Ich wollte mindestens einen Informationszettel beilegen.

Wie geht man mit DickPics um? Was kann man tun?
Ich möchte über den Gag hinaus.
Also tat ich was vielleicht viele zuerst machen würden, wenn sie wollen das Aktionen Konsequenzen haben: Ich ging zur Polizei.

In meinem Leben habe ich nicht die besten Erfahrungen mit der Polizei gemacht, aber ich war bereit das alles beiseite zu schieben, damit Menschen rechtliche Konsequenzen tragen müssen.
Am Anfang habe ich überlegt, ob ich sachlich einsteige, als Person die Beratung braucht bezüglich großflächiger sexueller Belästigung im Internet. Aber es sollte egal sein, dass man wie ich zum Teil fast wöchentlich Bilder bekommen hat. Auch ein Bild muss bereits ernst genommen werden.
Und so gehe ich am 15. August 2019 in das Polizeirevier 3 in Kiel und möchte ein Penisbild aus meinem Postfach anzeigen.
Die nette Polizistin ist überfordert und bittet mich zu warten. Am „Thresen“ ist man erneut nicht auf das Problem vorbereitet, doch dann bittet mich ein Polizist in einen Nebenraum und schließt die Tür. Solche zum Teil intimen Gespräche führe man nicht gerne direkt im Eingangsbereich – für mein eigenes Wohlbefinden.
Ob ich mich mit dem Polizisten und geschlossener Tür besser fühle na ja… aber spielen wir das Spiel mit. Nicht alle Frauen sprechen offen über das Problem, auch mir war es am Anfang unglaublich peinlich.
Ich berichte, dass mir Männer ungefragt Bilder ihres Penis senden und ich dagegen vorgehen möchte. Ich rechne mit einem „Es tut mir leid, dass Ihnen das passiert.“, oder einem „So erstattet man bei der Polizei Anzeigen, wenn Sie das wollen und das sind die Konsequenzen einer Anzeige.“
Doch was folgt ist ein Gespräch über Online-Dating, darüber dass es der Mann auch als Flirten gemeint haben kann, dass ich selbst Schuld bin wenn ich auf Bilder von Fremden klicke und ob mir das denn nur ein Mal passiert sei?
Ich fühle mich wie in einem schlechten Film. Während er mich ansieht als hätte ich gerade ein klebenden Kaugummi auf der Straße gemeldet, möchte ich in meinem Stuhl versinken.
Ich fühle mich sichtlich unwohl, möchte am liebsten weinen, doch kann es vor Wut nicht und es ärgert mich bis heute nicht wütend geworden zu sein. In meinem Schockzustand sitze ich da und … sage nichts.

Sätze wie „Ich möchte ihnen nicht zu nahe treten, aber es muss ja auch einen Straftatbestand erfüllen wenn man eine Anzeige aufgibt.“ verdrehen mir den Magen. Ich frage, ob das nicht sexuelle Belästigung sei und der Polizist erklärt mir, dass das nicht sein Job ist, sondern ein Richter oder Anwalt entscheiden muss. Aber wenn ich das über Dating Apps bekomme, dann kann der Mann nicht wissen, dass ich das nicht haben will. Wenn ich es über Twitter bekomme, dann ist das Bild ja solange verpixelt, bis ich drauf klicke und dann wollte ich das Bild ja auch sehen.

Ich soll Männern doch bitte mitteilen, dass ich das nicht möchte und wenn sie es dann noch mal tun, dann sei das sexuelle Belästigung.
Auch Exhibitionismus greife nicht, weil ich lade das Bild ja freiwillig und habe meine Direktnachrichten offen.
Und wenn die Seite auf ihren AGBs auch noch ab 18 ist und sich nicht gegen Pornografie ausspricht, könne man ja wenig tun. Chancen sieht er da für mich jetzt „natürlich nur aus seiner persönlichen Meinung“ nicht.
Ich möchte glauben dass er meine Erschütterung merkt, zumindest wird kurz nachgeguckt ob es nicht immerhin eine Beleidigung sein könnte. Schließlich fühle ich mich durch das Bild sichtlich angeekelt.
Aber auch dann muss man gucken, ob ich es nicht provoziert hätte.
Er möchte jetzt wissen, auf was für Bilder mir Männer DickPics senden, ob ich mich freizügig im Internet zeige. Sexualisierte Bilder könnten Männer ja dazu einladen.
„Wie viele Bilder haben Sie denn bekommen? Eins?“, möchte er wissen.
Ich fühle mich unendlich schlecht. Sage ich jetzt über 80 Stück? Ich entschließe mich nicht, denn die Zahl spielt keine Rolle für das was ich möchte.

Der Polizist gibt mir an die Hand „Nächstes Mal wenn Sie ein Penisbilder bekommen, machen Sie dem Mann klar, dass sie das nicht wollen. Wenn er es dann doch macht, dann hat er sich ja klar widersetzt und man benötigt ein Screenshot in dem der Username und das DickPic auf einem Bild zu sehen sind. Dann können wir eine Anzeige wegen Beleidigung aufnehmen.

Melden Sie das Profil der Plattform, die kann das moderieren und wenn nötig können Sie die Person ja meistens blockieren.
Das Nein muss natürlich auch vernünftig gestellt werden, damit Sie nicht missverstanden werden können.
Wenn er Ihnen auch sonst nachstellt, können Sie es auch mit Stalking versuchen.
Ich möchte Ihnen nur einen guten Eindruck vermitteln von Ihren Optionen.
Sie können natürlich immer noch Anzeige erstatten, wenn sie wollen.“
Ich möchte nicht.

Anstelle dessen verlasse ich die Polizeistelle, hinterlasse Freund:innen eine Sprachnachricht wie alles lief und weine in der Dusche.

Ich beschließe mir einen Anwalt zu suchen, versuche Personen zu finden die schon mal eine erfolgreiche Anzeige aufgegeben haben, doch meine Motivation ist plötzlich verschwunden.
Am liebsten würde ich das Projekt einstampfen.

Recherche und Projektende

Ich wäre gerne die starke Frau, die jetzt erst recht ihre Kampagne durchzieht und sich plötzlich unendlich gegen DickPics organisiert, doch ich bin es nicht.
Das Gespräch mit dem Polizisten hat mir vor Augen geführt wie stark verwurzelt sexuelle Belästigung in dieser Gesellschaft ist. Möchte ich Aufklärung betrieben, dann kann ich nicht nur ein Set der Karten rausbringen, sondern muss harte Arbeit investieren um einen fundierten Plan zu erstellen, um Menschen zu helfen, wenn die Polizei es schon nicht tut. Doch dafür habe ich weder die Zeit noch die Mittel.
Nachdem das Projekt Monate zum Erliegen kommt, beschließen wir schließlich das Projekt abzuschließen. Doch nicht ohne Ergebnis. Eine Firma langfristig zu erhalten ist zu viel Aufwand, aber wir werden ein Minimalprodukt kostenlos zur Verfügung stellen. Ursprünglich sollte das Ausmalbuch eines der Kaufoptionen innerhalb der Kickstarter Kampagne werden, doch nun ist es das Produkt, welches wir in die Welt werfen.
Ihr könnt eure Version unter www.junkmail.cards herunterladen.
Dort verlinken wir auch immer wieder auf weitere aufkommenden Projekte zum Thema DickPics im Internet. Seit 2019 ist viel passiert, das Thema bekommt mehr Presse und viele tolle Leute leisten die Aufklärung, für die ich keine Kraft hatte.
Wenn ihr Hilfe braucht, dann geht nicht zu Polizei, sondern zu Anwält:innen.
Wenn ihr Unterstützung braucht, sucht feministische Organisationen.
Und wenn ihr ein DickPic zur Anzeige bringen wollt, dann macht es! Denn Menschen müssen Konsequenzen tragen!

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