Eine Geschichte über Lost & Found

Foto meines Smartphones auf dem ein Anime Aufkleber, sowie der Schriftzug End Capitalism klebt.

Nach Hause kommen, Wohnungstür schließen, über die Katze stolpern, Tasche abstellen und plötzlich PANIK! Das Einhorn ist weder in meinem Arm noch an seinem Platz. Ich muss es heute irgendwo liegen gelassen haben! Schnell gehe ich in meinem Kopf alle Wege des Tages durch, schreibe Freund*innen und auf Twitter.
Auch auf Konferenzen verschwindet es ab und an, doch da Menschen mich kennen und ein pummeliges Plüscheinhorn recht ungewöhnlich ist, hat es bis jetzt immer wieder seinen Weg nach Hause gefunden. Allerdings trägt es dort häufig ein Namensschild, das auf meinen Twitter-Account verweist.
Schnell wähle ich die Nummer der Verkehrsgesellschaft. „Bin ich da richtig beim Fundbüro?“ „Ja“ grummelt eine schlecht gelaunte Frau am anderen Ende der Leitung. „Ich glaube ich habe soeben mein Einhorn in der Buslinie x liegen gelassen!“

Ich bin eine Meisterin im Verlieren. England Abends im Pub mit Bekannten ein Getränk trinken oder auch drei. Guter Jazz-Musik lauschen und sich dann nachts auf den Weg zurück machen. Obwohl ich den Abend nur Limonade getrunken habe, muss ich vor meinem Hostel feststellen, dass die Schlüsselkarte nicht mehr bei mir ist. Ein Hoch auf die 24-Stunden-Rezeption und den netten Rezeptionisten, der mir eine neue Schlüsselkarte ausgibt und sogar den Vorschlag macht, die neue Karte erst bezahlen zu müssen, wenn ich die alte morgen nicht wieder finden kann. Vielleicht ist man hier auch Pub-Rückkehrer*innen gewöhnt.
Als ich am nächsten Tag eher aufstehe, um erneut zum Pub aufzubrechen, wird an der Rezeption bereits mit meiner Schlüsselkarte gewunken. Jemand aus dem Pub habe sie bereits zurückgebracht. Ich atme tief ein und von da an hat der Pub einen neuen Stammgast und der Rezeptionist aus Dank von mir deutsche Schokolade.
Vom Verlust der Schlüsselkarte bis zur Abgabe des Hotels sind es gerade mal 4 Stunden. Es gibt wirklich wundervolle Menschen auf dieser Welt.

Als mein Flugzeug in Marrakesch landet, schicke ich keine SMS nach Hause. Ich bin müde und möchte nur noch in meine Unterkunft. Ich bereise das Land nicht zum ersten Mal und weiß, dass ich in einer touristischen Gegend wohne. Als ich aus dem Taxi steige, bin ich auf Diebstähle und Trickbetrüger-Tricks vorbereitet, nicht jedoch auf die Wölbung meiner Manteltasche. Im Hotel muss ich feststellen, dass mein Handy fehlt. Es muss mir im Taxi aus der Tasche gefallen sein. Ich renne die Strecke erneut ab, befrage die Hotelbesitzer und versuche, per Freund in Deutschland mein Telefon zu orten. Am Ende weine ich mich in den Schlaf. Mit dem Verlust meines Handys ist Kommunikation fast unmöglich, ich habe abseits eines bereits beschädigten Laptops keine Verbindungsmöglichkeit mit dem Internet mehr. Viele nicht gesicherte Daten und Erinnerungen sind für immer verloren. Dieser Moment ist noch immer einer der Tiefpunkte meiner Reise.

In meiner Hand halte ich ein orangenes Nokio Handy, welches zufälligerweise die passende Farbe zu meinem Kleid hat

Am nächsten Tag kaufe ich mir ein simples Mobiltelefon, eine neue SIM-Karte und telefoniere mit dem Taxiunternehmen. Ich erinnere mich an die genaue Abfahrts- und Ankunftzeit, aber mehr als ein „Wir werden sehen, ob wir es finden“ ist nichts zu hören. Bis heute ist das Telefon verschollen. Vielleicht geistert es über die Schwarzmärkte Afrikas, vielleicht ist es in einen Abfluss am Bordstein auf ewig verschwunden.

Fast hätte ich die Bushaltestelle vor meiner Haustür verpasst, schnell sprinte ich zur Tür und hüpfe aus dem Bus. Die Türen schließen, der Bus fährt weiter. In diesem Moment realisiere ich, mein Telefon auf dem Sitz vergessen zu haben. Panik kommt auf. Die Wunde vom letzten Verlust sitzt noch tief und neben der Angst, erneut auf mein Smartphone verzichten zu müssen, hätte das für mich auch das finanzielle Aus bedeutet. Im Moment ist meine Arbeit von diesem kleinen Gegenstand abhängig.  

Ein Pokemon Dragonir und ein Nintendo Kirby Anhänger.
Schnell renne ich zum Fahrstuhl und wähle in der Wohnung die Nummer des Busunternehmens.
Leider spricht der Mann am anderen Ende nur Japanisch und erklärt höflich, dass er mich leider nicht versteht. Ein Freund ist so lieb und übersetzt.
Ich nenne die Busnummer und die Ankunftszeit an meiner Haltestelle, meine Adresse, Telefonnummer und beschreibe mein Telefon. Als ich erkläre, dass an meinem Telefon ein Dragonir und Kirby baumelt, hellt die Stimme des Mitarbeiters auf "Ah! Pekomonsta!".
Er werde sich melden, sobald es gefunden ist.

Noch während ich überlege, wie lange ich wohl auf den Rückruf warten muss, klingelt es. Das Handy ist gefunden. Es lag noch immer auf dem Platz im Bus. Mir fallen tausend Steine vom Herzen und ich frage, wo ich es abholen kann. Die Antwort ist eine riesige Überraschung:
Ein anderer Busfahrer fährt gerade seine Tour zurück und könnte es direkt an der Bushaltestelle vor meiner Wohnung abgeben. Noch nie habe ich mich so oft und so tief verbeugt wie vor diesem Busfahrer, dem das ganze sichtlich unangenehm schien. Er mache nur seinen Job.
20 Minuten vom Verlust des Telefons bis ich es wieder in meinen Händen halte. Mein Herz hat noch nie so schnell gepocht vor Glück.

Zurück in Deutschland und im Gespräch mit der mürrischen Frau vom Fundbüro:„..aha… aber da müssen Sie nun mal morgen anrufen.“ „Ich dachte nur, dass das Einhorn sonst vielleicht jemand mitnimmt wenn es zu lange im Bu…“ „Alle Fundsachen werden eingesammelt und können am Folgetag ab 07:30 abgeholt werden.“ rattert die Frau wie eine Bandansage herunter. Es ist halt nicht überall Japan. Ich bedanke mich dennoch.
Das Anrufen am nächsten Tag bleibt mir allerdings erspart. Das kleine Einhorn wurde an der Bushaltestelle gefunden und ist heute Abend gut untergekommen. Morgen wird es mir an der Uni zurückgegeben. 3 Stunden bis zur Information, dass das Einhorn sicher ist. Nicht schlecht Deutschland.

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