Was wissen Nordkoreaner*innen über die Außenwelt?
Nordkorea isoliert sich von der Welt, die Menschen leben abgeschottet mit Propaganda in Zeitungen, im Fernsehen und auf Plakaten. Umso höher scheint der Drang, etwas über die Außenwelt in Erfahrung zu bringen. Von jeder Nordkoreaner*in werden wir gefragt, ob das Leben in Deutschland ähnlich ist, was wir von den Ereignissen vor Ort halten und ob es uns gefällt.
Ich bemühe mich, so wahrheitsgetreu wie nur möglich zu antworten, auch wenn in meinem Hinterkopf das Wissen schlummert, gerade überwacht und kontrolliert zu werden.
Wie viel darf ich sagen?
Sollte ich sagen, was gehört werden will?
Kann ich durch bestimmte Aussagen Nachteile erhalten?
Es trifft mich wie ein Schlag, als ich mit dem Studenten, der uns begleitet, auf dem US-Überwachungsschiff über die Überwachung der USA spreche. Wir unterhalten uns über historische Hintergründe, als ich die Frage stelle, ob die USA immer noch versuchen, Nordkorea überwachen.
Natürlich würden sie es tun, allerdings nicht mehr von geheimen Schiffen, sondern von Südkorea aus. Ich nicke.
„Aber die Amerikaner überwachen nicht nur uns. Stimmt es, dass das Handy der Kanzlerin ebenfalls abgehört wurde, wie es in den Snowden Dokumenten steht?“, fragt der Student und bringt mich damit völlig aus dem Konzept.
Er kennt die Snowden Dokumente?
Unsere Unterhaltung bricht ab, als wir das Kriegsmuseum betreten und die Führung beginnt.
Auf dem Hotelzimmer erzähle ich meinem Reisepartner von der Unterhaltung und wie verrückt der Vorfall ist. Er ist ebenfalls erstaunt, bringt aber an, da es sich bei diesen Nachrichten um negative Berichterstattung gegenüber Amerika handelt und damit der Propaganda in die Hände spielt.
Aber nicht nur die Snowden-Dokumente sind bekannt, sondern auch Teile der Griechenlandkrise und die aktuellen Ergebnisse der Fußball Bundesliga. Der Student kennt die aktuelle Tabelle, den BVB und deren Trainerwechsel. Es sei möglich, die deutschen Fußballspiele in Nordkorea zu verfolgen. In einem Hotel sehen wir eine Wiederholung der letzten EM im Eingangsbereich. Politisches aus dem Ausland erfährt man immer sonntags im Fernsehen. Ausgewählte Nachrichten, welche die Probleme des Kapitalismus‘ verdeutlichen oder die Fehler der Amerikaner in den Vordergrund rücken, kommen somit auch in Nordkorea an.
Das Feindbild „Amerika“ ist allgegenwärtig. Auf Plakaten und sogar Postkarten prangen große Zeichnungen mit Atombombenabwürfen, oder Drohungen gegen die USA. Die „Besatzung Südkoreas“ gilt als einziger Grund, warum die Wiedervereinigung noch nicht stattgefunden hat. Egal welche Nordkoreaner*in man nach ihrem oder seinem großen Traum fragt, man wird dir die Wiedervereinigung Koreas nennen, man wird in der „Wir“-Form sprechen und man wird den Amerikanern die Schuld geben.
Wie diese Wiedervereinigung aussehen soll, steht dabei noch nicht genau fest. Die Wirtschaftssysteme sind schließlich unterschiedlich und werden auch als nicht kompatibel angesehen.
„Wird Südkorea ebenfalls zur Planwirtschaft?“
„Wird Kim Jong Un zum gemeinsamen Führer?“
Fragen, auf die es sehr schwammige Antworten gibt. Unsere Reiseführer verweisen darauf, keine Wirtschaftsexperten zu sein und widersprechen sich in ihren Aussagen. Manchmal ist von einer Wirtschaftsübernahme die Rede, manchmal von einer Koexistenz beider Wirtschaftssysteme. Einmal spricht man sogar von demokratischen Wahlen, die nach der Wiedervereinigung durchgeführt werden sollen, um ein gemeinsames Staatsoberhaupt zu finden, auch wenn dabei Kim Jong Un natürlich zur Wahl steht.
Der uns begleitende Student erzählt, dass er Deutschland besucht hat. In Berlin und Bonn sei er mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst gewesen, das erste Projekt seiner Art, bei dem mehrere Studenten der Kim Il Sung Universität die Möglichkeit hatten, in Deutschland ihre Deutschkenntnisse zu verbessern.
Deutschland sei beeindruckend und anders, viel mehr Worte findet er nicht.
Als meine Reisebegleitung ihn fragt, ob ihm auch etwas nicht gefallen hätte, überlegt er kurz.
Die Kunst an den Wänden, die man mit Sprühdosen macht und die es überall in Berlin gebe… und Toiletten, ja dass man für Toiletten bezahlen müsse.
Ich lache und stimme zu.
Aber tatsächlich hatte ich nach meiner Rückkehr auch Probleme, Nordkorea in Worte zu fassen, zu unterschiedlich ist alles von dem Gewohnten.
Später tauschen der Student und wir Adressen aus. Für den Fall, dass er wieder nach Deutschland darf, soll er sich melden und sei immer willkommen. Er freut sich und nennt uns seinen vollen Namen, sodass wir ihn wieder als Reiseführer anfordern können, sollten wir nach Nordkorea zurückkehren.
E-Mails als Kommunikationsmittel gäbe es „noch nicht“. Aber Smartphones, mit denen man Anruf, Videoanrufe und Nachrichten verschicken kann, sind allgegenwärtig. Fast jeder Bürger in Pjöngjang besitzt eines. Handyspiele werden in der Stadt selbst unter anderem von einer deutschen Firma produziert und der Student kennt Facebook von seiner Zeit in Deutschland. Er mag das Konzept, sich online zu vernetzen und die Idee hinter Facebook. „Vielleicht gibt es ja bald etwas ähnliches hier.“ Ob er selbst von seinen Worten überzeugt ist, lässt sich schwer sagen, aber ich lächele nur.
Wie muss sich ein Nordkoreaner fühlen, wenn er das chaotische, dreckige, schnelle Deutschland sieht, in welchem es 24h Strom und Wasser, sowie eine Lebensmittelauswahl gibt?
Der Student erzählt uns von einem guten Freund, der in Berlin wohnt, und dort als Kind eines nordkoreanischen Geschäftsmanns in Deutschland zur Schule ging und später zum Studium nach Pjöngjang zurückkehrte. Er blieb nicht lange und ging mit seiner Familie nach Berlin zurück.
Ob er anders war, wollen wir wissen und fragen uns dabei selbst, wie es für ein Kind sein muss, zwischen diesen zwei Welten groß zu werden, aber unsere Frage wird nicht wirklich beantwortet.
Für den Studenten ist das angestrebte Wirtschaftsstudium nach seinem Sprachabschluss die Hoffnung, mit dem Ausland zu arbeiten und vielleicht sogar einmal in Deutschland wohnen zu dürfen.
An unserem letzten Tag treffen wir eine weitere Frau, die unseren Reiseführer ersetzt, da dieser bereits eine neue Reisegruppe vom Flughafen abholen muss. Sie war mehrere Monate in Deutschland, um ihre Sprache zu perfektionieren und tatsächlich ist ihr Akzent so gut wie verschwunden.
Wie viele Nordkoreaner*innen diese Möglichkeit haben, erfahren wir nicht, schließlich sind wir auf dem Weg zum Zug und damit ein wenig im Stress. Sollten wir die Ausreise verpassen, wäre das für uns sowie für unsere Reiseleiterin eine Katastrophe.
Im Zug selbst sitzen westliche und asiatische Touristen, aber auch Nordkoreaner*innen mit den typischen roten Ansteckern an ihrem Hemd. Kurz vor der Grenze steigt eine Nordkoreanische Turnmannschaft in Trainingsanzügen zu. Wie schon zu Zeiten der DDR sind Sportler das Aushängeschild des Landes und haben das Privileg, die Welt sehen zu dürfen.
Ausländische Zeitschriften gibt es nicht, das Fernsehen hat drei Kanäle und funktioniert von Nachmittags bis Nachts. Des Weiteren ist es fragwürdig, ob es Fernseher außerhalb von Pjöngjang gibt, wenn das Mobilnetz drei Kilometer nach der Stadtgrenze endet. In Pjöngjang jedoch werden die Menschen mit Informationen über das Ausland versorgt, zumindest mit denen, die der Regierung zuspielen. Dadurch entsteht für Nordkoreaner dass Gefühl, die Außenwelt zu kennen und für mich als Touristin die Überraschung über die doch so aufgeklärten Bürger*innen. Wenn globale Nachrichten selektiert werden, dann wird es auch unter den Menschen in Nordkorea einige Einwohner geben, die die Außenwelt mit all ihren Seiten kennen. Mindestens um sie zu selektieren.