Vom Haarschnitt bis zum gefundenen Einhorn – Mythen aus Nordkorea
Durch die Isolation Nordkoreas ist eine objektive Berichterstattung über das Land und die dort lebenden Menschen nur schwer möglich.
Kuriose Nachrichten, oft sogar selbst in nordkoreanischen Stellungnahmen verbreitet, bereiten aus europäischer Sicht beim Lesen oft nur Kopfschütteln.
Als Tourist sieht man keinesfalls die Wahrheit, wenn man durch nordkoreanische Straßen geht, dennoch habe ich versucht einigen Mythen auf den Zahn zu fühlen.
„Nordkorea führt seine eigene Zeitzone ein“
Einen Monat vor unserer Abreise erscheint die Pressemitteilung, dass Nordkorea seine Zeit um 30 Minuten zurückgestellt habe. Mein Android-Telefon zeigt dieses nicht, als ich meine Zeitzone wechsle und so fragen wir vor Ort nach der aktuellen Zeit.
Tatsächlich stimmen die Artikel. Die Nordkoreaner sehen die Umstellung als große Befreiung und einen weiteren Schritt zur Unabhängigkeit an, so erklärt es uns unser Reiseleiter. Eine weitere Unterdrückung von der Außenwelt wurde abgewehrt.
Wie weit die Umstellung im Vorhinein geplant war, ist jedoch fraglich. So gibt es auf unserer Rückreise auf den verschiedenen Zugtickets unterschiedliche Abfahrtszeiten, je nachdem, wann sie ausgestellt wurden.
„Frauen dürfen nicht Rad fahren“
Unterschiedliche und auch sehr seriöse Quellen sprechen von einem gesellschaftlichen Verbot für Frauen, ein Fahrrad zu benutzen. Es gelte als „unschön und aufreizend“. Barbara Demick beschreibt in ihrem Buch „Im Land des Flüsterns“ gar die Geschichte einer aus Nordkorea geflohenen Frau, welche in ihrer Kindheit mit den Worten „Du wirst dir deine Möse zerreißen!“ beschimpft wurde, als sie mit dem Fahrrad unterwegs war.
Auch wenn es früher ggf der Wirklichkeit entsprach, so sieht man jetzt (Sept 2015) auch Frauen mit dem Fahrrad durch Pjöngjang fahren. Als ich mit meinem Reiseführer über dieses Thema spreche, revidiert er früheres. Natürlich würden auch Frauen Radfahren. Bleibt die Frage, ob es eine der Art von „Wahrheiten“ ist, die sich auf Pjöngjang beschränkt und aufgrund der Touristen entstanden ist, oder auch außerhalb der Stadtgrenzen gültig ist.
„Die letzte Einhornhöhle“
2012 tauchen Artikel auf, die besagen, Kim Jung Un habe ein Einhorn-Nest gefunden. Eine offizielle Pressemitteilung Nordkoreas hat damit ein weiteres Mal den weltweiten Spott auf sich gezogen. Für mich gab es tatsächlich keinen Zweifel daran, dass Nordkoreaner*innen an ein Einhorn glauben würden, bei all den Mythen ihrer Führer.
Als mein Reiseleiter mit einem Lachen fragt, um was es sich bei meinem plüschigen Begleiter handelt, erkläre ich dass erste Mal, dass es sich um ein Einhorn handelt.
Später knuddelte eine Frau meine flauschige Reisebegleitung im nordkoreanischen Briefmarkenmuseum. Im Gegensatz zu meinem Reiseleiter nickte sie nicht, als ich mein Tierchen als Einhorn vorstellte, sondern fragte nach. Nach dem irritierten Blick meines Reiseleiters, welcher die Frage nicht beantworten konnte, und ich zu erklären begann, dass es sich bei dem Pferd mit Horn um eine Figur aus Sagen und Märchen handelt, war wohl klar, dass noch nicht alle in Pjöngjang von Einhörnern gehört hatte. Oder Einhörner sind hier nicht so pummelig wie mein Stofftier.
„In Nordkorea sind nur bestimmte Haarschnitte zugelassen“
Auf den Straßen Pjöngjangs sieht man verschiedene Haarschnitte an Frauen. Männer tragen die Haare nie länger als ein paar Zentimeter. Wie in jedem Land gibt es modische Trends. So tragen ältere Frauen, verheiratete Frauen und junge Mädchen ihre Haare oft schulterlang, wohingegen sich laut des Studenten, der uns durch Nordkorea führt, Studentinnen auch gerne die Haare länger tragen.
Auch wenn es offiziell laut unseres Reiseleiters keine Vorgaben für Haarschnitte gibt, weiß man nie, ob man dieser Aussage trauen kann. Wilde Haarkombinationen fehlen auf der Straße. Jede Frisur ist ordentlich und gefärbte Haare sieht man nicht.
Auch gehört zu speziellen Dienstkleidungen auch eine bestimmte Frisur. So tragen alle weiblichen Angestellten ihre Haare gelockt und hochgesteckt. Selbst die Brosche, welche die Haare zusammen hält, ist bei jeder Frau dieselbe.
„In Nordkorea herrscht eine eigene Zeitrechnung“
Wenige Jahre nach dem Tod des großen Führers Kim Il Sung wurde in Nordkorea die Juche Zeitrechnung eingeführt. Dieser Kalender beginnt mit Kim Il Sungs Geburtsjahr und wird ebenfalls auf gedruckten Büchern und Monumenten verwendet. In runden Klammern hinter dem Juchejahr findet man das passende Jahr des Gregorianischen Kalenders.
„Die Hinterseite des Ryugyŏng Hotel ist nicht fertig gestellt“
Der Mythos, dass das Ryugyŏng Hotel nur von einer Seite fertig gestellt wurde und auch nur von einer Seite fotografiert werden darf, stimmt definitiv nicht, oder nicht mehr.Im Laufe unserer Reise durch ganz Pjöngjang haben wir das Hotel von allen Seiten gesehen und auch von allen Seiten fotografieren dürfen.
„Kim Jong Un hat in der Schweiz studiert“
Bestätigt wurde diese Meldung nie, trotzdem gilt sie für viele bereits als bestätigt. Viele Fotos zeigen den angeblichen Jong Un während seines Studiums und Mythen, wer auf den Bildern seine angeblichen Bodyguards sein könnten, machen die Runde. Auch unser Reiseführer kann die Geschichte weder bestätigen noch leugnen. Allgemein weiß man über den derzeitigen Führer nicht besonders viel. Es ist weder bekannt, wo er wohnt, noch ob er bereits Kinder hat. Im Gegensatz zu seinem Vater und Großvater gibt es zu ihm ebenfalls (noch) keine sagenumwobene Erfolgsgeschichte.
Dieser Artikel wurde nachträglich (2022) gegendert.