04. Reisetürchen
Kiev, Ukraine
2016
„Ich könnte euch noch einen Bunker zeigen.“, sagt der Mann, der uns eben noch von Untergrundpartys in Paris erzählt hat. Noch nie habe ich einen Reiseführer für einen ganzen Tag bezahlt, doch diesen jungen Mann möchte ich am liebsten mit Geld bewerfen um ihm seine nächsten Reisen zu ermöglichen.
Mit Mitte/Ende 20 hat er sich selbständig gemacht und zeigt nun Tourist*innen wie uns seinen alternativen Blick durch Kiev. Andere Reisende nannten seine Touren als es um unautorisierte Reisen nach Tschernobyl ging. Wir haben angefragt was er uns sonst noch zeigen könnte. Und da stehen wir nun. Irgendwo zwischen hohen Häusern auf einem Parkplatz. „Einfach unauffällig hier stehen bleiben.“, wird uns aufgetragen und dann ist der junge Mann verschwunden. Das Bild wie zwei Tourist*innen versuchen so unauffällig wie möglich auf einer offenen Fläche zu stehen muss für Passant*innen belustigt ausgesehen haben. Nach etwa 5min öffnet sich plötzlich eine Tür und wir steigen eine Treppe hinunter.
Nach jedem Gang muss erneut dass Licht an und nach uns wieder ausgemacht werden. Wenig später stehen wir in einem alten Sowietbunker. An den Wänden hängen Plakate und Sicherheitsanweisungen, vor uns stapeln sich Kisten voller Gasmasken. „Damit haben wir die Demonstranten bei den Prosten auf dem Maidan-Platz versorgt.“ Nicht nur das. Die Gruppe hat auch den Bunker aufgeräumt und eingerichtet. „Als wir uns Zutritt zum Bunker verschafft haben war alles durcheinander und verteilt. Wir haben die Räume rekonstruiert, Tische und Regale wieder aufgebaut und die Akten archiviert und sortiert. Und dann natürlich erst mal eine Party geschmissen.“, erzählt der Mann uns mit einem Lachen.
Laut Gesetzeslage wird in der Ukraine alles was an die Sowietzeit erinnert zerstört. Statuen und Monumente werden niedergerissen. Schilder abgenommen. Auch der Bunker wird irgendwann wahrscheinlich Geschichte sein, der Inhalt vernichtet. „Wir wollen Geschichte erhalten und protokollieren.“, erzählt unserer Reiseführer. Die Alarmanlage des Bunkers wurde umgangen, ein eigenes Passwort eingesetzt. „Wir haben Unterlagen wann die Bunkeranlagen kontrolliert werden. Bis dahin sieht es hier wieder so aus als sei niemand dar gewesen.“, sind die Worte. Ich bin gespannt und doch etwas beunruhigt. Uns werden die einzelnen Stationen und Plakate des Bunkers erklärt. Länger als drei, vier Tage reichen die Vorräte auch nicht. „Bis dahin ist die größte Strahlung im Falle eines Atomangriffs jedoch auch wieder vorbei.“ In Kiev merkt man immer wieder wie viele Menschen sich mit dem Thema Strahlung und Radioaktivität auseinander gesetzt haben. Tschernobyl ist nicht weit.