Zwischen Technik und Sozialwissenschaften
Als ich mich das erste Mal für einen IT Job für Studierende umgesehen habe, kamen mir plötzlich Zweifel. Bin ich dafür überhaupt qualifiziert genug? Bin ich denn eine ITlerin? An der Uni bin ich es gewohnt ein Einzelfall zu sein. „Soziologie und Informatik im 2 Fach Bachelor„, damit ist man dann doch häufig die Ausnahme. Zwei Fakultäten, mit denen man sich herum schlagen muss, zwei Fächer mit hohem Arbeitsaufwand, … es gibt einige Gründe die für andere Studierende dagegen sprechen.
Für viele Menschen mag es klar sein: Da steht Informatik im Namen, dann sind sie auch Informatikerin. Verbringt man seinen gesamten Studienalltag zwischen Hauptfach-Informatik-Bachelor-Studierenden, stellt man jedoch immer wieder fest wie viele Grundlagen einem Fehlen. Am Ende meines Studiums kann nicht mehr als Lehramtsstudierende, die meisten meiner Freund*innen Coden, Basteln und Löten seit sie klein sind und ich habe meine erste Zeile Code vor ein paar Jahren im Studium geschrieben.
Wahrscheinlich bin ich auch sonst eher der Typ Mensch, der sich kleiner macht, als er ist.
Ich fand die Arbeitswelt meiner Informatikkolleg*innen immer spannender, als die Jobaussichten meiner Komilliton*innen in der Soziologie, doch immer wieder liefen Fragen wie
„Reichen meine IT Kenntnisse?„
„Kann ich wirklich gut genug Programmieren?„
„Sollte ich nicht lieber noch ein Zusatzmodul belegen, damit mir keine Informatikgrundlagen fehlen?„
durch meinen Kopf.
Umso erstaunter war ich als ich nach 2,5 Jahren Vorlesungen bei einem IT-Dienstleister landete und feststellen musste: Was mich hier unerwartet weiter bringt, ist ausgerechnet mein Soziologie-Studium.
Für mein Arbeitsprojekt muss neue Software auf Basis von Gesetzen erdacht werden, dann das Produkt verkauft, entwickelt und ausgeliefert werden.
Wird man wie ich eingestellt, um Software zu erdenken und Code zu schreiben, dann hat man selbstverständlich Expert*innen die sich mit den Gesetzestexten auseinandersetzen und Vorgaben geben. Je mehr man jedoch selber im Thema ist, umso mehr Fachbegriffe man kennt und desto verständlicher Zusammenhänge sind, umso weniger Nachfragen muss man stellen und umso schneller kann gearbeitet werden.
Es stellt sich heraus, dass wenn man sich durch sozialwissenschaftliche Primärliteratur, Hegel, Marx und Wissenschaftstheorien lesen musste: Dann meistert man auch Gesetzestexte, ohne mit der Wimper zu zucken. Oder zumindest war das bei mir der Fall.
Schnell hatte ich verstanden, welche Texte worauf aufbauten, welche Paragrafen sich unterschieden und warum es Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt.
Es stellt sich zudem heraus, dass wenn man sich für seinen zweiten Lektürekurs mit Schnell-lese-taktiken vorbereitet, um die 20 Seiten pro Woche sozialwissenschaftlicher Hausaufgaben zu schaffen, auch die Chefin beeindruckt guckt, wenn man das Pflichtenheft in einer halben Stunde gelesen hat. Danke Soziologie Studium!
Schnell landete ich Anforderungsmanagement und gestaltete Abfragen aus denen später die neue Software entwickelt werden soll. Von Vorteil für diese Aufgabe ist zwar Verständnis von Softwareaufbau, aber vor allem die Fähigkeit Abfragen so zu erstellen, dass man brauchbare Ergebnisse erhält. Meine sozialwissenschaftlichen Hausarbeiten forderten die letzten Jahre so viele Stunden und Tage in der Konzeption von Fragebögen, Interviewfragen und Beschreibungen von Definitionen, dass ich fast schon erleichtert bin endlich eine Anwendung der einzelnen Aspekte außerhalb meines Universitätslebens zu finden. Danke Soziologie-Studium!
Möchte man den Ist-Zustand verbessern muss man ihn erst einmal festhalten. In meinen paar Semestern Kulturanthropologie hätte ich die Mitschriften zum Thema "Katalogisieren" noch etwas genauer machen können, doch die Konzepte waren verständlich und die BWL Chefs gaben mir schnell viele Freiheiten meine Ideen umzusetzen. Danke Kulturanthropologie-Semester!
Wenn man in der Technik-Soziologie viele Konzepte betrachtet, dann bekommt man nicht nur einen neuen Blickwinkel auf Technologien, sondern auch auf Nutzungsverhalten und Technik-Historie. Und wenn man in einem Tutorium erklärt, warum Pepper keine künstliche Intelligenz, sondern nur ein Tablet mit Rollen ist, bekommt man ein gutes Gefühl dafür komplexe Sachverhalte Informatik-Laien beizubringen. Danke Soziologie-Tutorien!
Wenn es in den nächsten Monaten an die Umsetzung geht, dann rollt der Kollege auch mit seinem Bürostuhl vorbei, um mir noch mal ein Programmierkonzept näherzubringen. Da kann ich auf mein Team zählen! Sollte es ganz schlimm kommen oder ich mich super schlecht mit einer Programmiersprache fühlen, dann schickt mich das Unternehmen einfach auf eine interne Schulung, oder ich bekomme eine Einarbeitungszeit, denn niemand hier erwartet von mir die Perfektion, vor der ich Angst hatte.
Ich weiß, dass ich nie die hundert Prozentige Coderin werde, doch während in meinem Kopf IT-Unternehmen immer nur Fachspezifisch waren, lerne ich langsam, dass man meine Interdisziplinarität zu schätzen und einzusetzen weiß. Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass man in der großen Unternehmenswelt seine ganz eigene Stelle hat, gebraucht wird und das ist was ich gebraucht habe, denn wo man mit dieser Studienkombination am Ende rauskommt, das kann einem niemand sagen. Wenn ich nun mit "Vollzeit-Informatik" Studierenden abhänge, dann weiß ich, dass ich mich nicht eins zu eins vergleichen muss. Und möchte ich doch noch mal Informatik-Wahlpflicht Module, IT-Sicherheit, oder anderes machen, dann belege ich es einfach, oder schiebe noch mal einen Informatik 1 Fach Bachelor hinterher, aber aktuell bin ich glücklich wo ich gelandet bin.
Dinge die auch noch ganz sinnvoll zu sein scheinen 😉
- Kunstleistungskurse für Workshopplakate.
- Hotellerie-Jobs für Kundenumgang.
- Hundebabies sitten für Schülerpraktikanten-Betreuung.
- Hackathons für Ideensammlungen und schnelle Kurzprojekte.
- Empirische Sozialforschung für Großraumbüros.
- Polyamoröse Beziehungskonzepte für Kalendermanagement.
- Gerichtsschreiber-Praktika für Protokolle.
- Longboardskills für lange Büroflure.