Let’s Talk About Sex … and YouTube

Zeichnung einer Frau, die ihren Kopf auf ihrer Hand abstellt.

Wenn wir über Liebe, Beziehungen und Sex reden, dann denken die wenigsten zuerst an die Internetplattform „YouTube“. Für viele Nutzer*innen bietet die jedoch mittlerweile Lebenshilfen aller Bereiche. Vom morgendlichen Schminken dank Make-up Tutorials bis hin zur Nachmittagsunterhaltung durch Webshows oder Let’s Play’s hat sich eine einzelne Webseite komplett in unser Leben geschlichen.

Mittlerweile kann jeder Mensch mit einer Videokamera oder sogar seinem Smartphone sein eigenes Projekt auf YouTube starten und damit seine Meinung und Gedanken publizieren. Das Internet bietet viele Möglichkeiten und schafft damit einen enormen Raum für Kreativität. Doch Plattformen wie YouTube ersetzen langsam nicht nur Unterhaltungsmedien, sondern auch Beziehungsratgeber. Liebe, Sex, Beziehungen sind Themen die junge Menschen beschäftigt. Egal welcher Generation. Wir sehen Soaps, lesen die Bravo, tratschen über die Beziehungen anderer und sind dabei auf der Suche nach dem richtigen Weg dieses Konzept zu begreifen, obwohl wir doch wissen, dass es kein Richtig oder Falsch gibt. Konfrontiert werden wir mit Geschlechter Klischees und gesellschaftlichen Normen. Auch das taten die Bravo und Werbeindustrie schon lange bevor es YouTube gab. Dennoch verfügten diese über einen Filter, den die Informationen durchlaufen mussten. Redaktionen der unterschiedlichen Medien entschieden über die Veröffentlichung.

YouTube hat keinen Filter vor seinen Publikationen und das ist auch gut so, dennoch müssen sich Menschen ihrer Reichweite bewusst sein. Gerade die Stars und Sternchen der YouTube-Welt kennen die Anzahl der Abonnenten und die Zahl ihrer Zuschauer*innen und sie sollten wissen, dass sie Meinungen beeinflussen können. Da bringt es auch überhaupt nicht sich pseudomäßig rauszureden.

„In diesem Video geht es um (…) die Dinge die sich Jungs in Beziehungen erhoffen. (…) Nein! Das hier kann man natürlich nicht auf alle Jungs pauschalisieren. Ich muss sagen, das trifft auf mich zu, das trifft auf einen großen Bekanntenkreis von mir zu und ich weiß meine Freunde seh’n das genauso. Wenn das auf dich jetzt gerade Jimmy nicht ganz so zutrifft, dann ist das kein Problem, dann kannst du das natürlich gerne in die Kommentare schreiben. Jetzt geht es aber auf jeden Fall mit dem Video los.“ – JONAS (Gesamt: 1.107.530 Abonnenten • 134.510.179 Aufrufe) 

Die Klickzahlen zu Beziehungs-, Pärchen- und Sexuellen „Aufklärungs“-Videos sind einem sicher und so kommt es, dass auch viele junge Teenager sich vor die Kamera setzen und von „Liebe“ erzählen, ohne je eine langfristige Beziehung geführt zu haben. Das Ergebnis sind „Weisheiten“, die auch ihnen nur erzählt wurden, oder als allgemeingültig gelten und gerne Ansprüche an die jungen Zuschauer*innen stellen. Anstelle aufgefordert werden zu experimentieren und unterschiedliches auszuprobieren, um das Passende für sich zu finden gibt es „DIE 10 Dinge die Mädchen & Jungen am jeweils anderen Geschlecht mögen“.

Für junge Frauen heißt das:
Kommuniziere nicht ständig mit anderen Männern, wenn du einen Freund hast,
spiele als Frau doch auch mal Videospiele,
sei doch süß und schüchtern,
sei feminin,
habe einen guten Ruf (gehe mit nicht zu vielen Männern ins Bett, knutsche nicht zu viel),
finde seine Hobbys gut,
sei ein bisschen eifersüchtig…
Nur wenige YouTuber*innen differenzieren, die meisten rufen „Allgemeingültigkeiten“ in den Raum, befragen ihre Follower*innen und klären Vorurteile mit Vorurteilen auf. Immer dabei: Das Ikea-Kallax-Regal, gute Laune Lächeln und natürlich häufig der Partner bzw die Partnerin des YouTube-Sternchens.

Gefährlich wird es aus meiner Sicht, wenn es zu Schuldzuweisungen oder Gewaltverherrlichungen kommt. Denn wenn der Freund nicht über seine Gefühle redet, dann hat das nicht zwingend mit der Schuld des Mädchens zu schaffen, welche gefälligst ein besseres Vertrauensverhältnis aufzubauen hat! Oder doch über die Witze ihres Partners lachen sollte.
Und Gefühle wie „Eifersucht“ und „Verlustangst“ müssen keinesfalls Anzeichen einer gut funktionierenden Beziehung sein, auch wenn sie zum Beispiel von Moritz als absolutes Highlight geprädigt werden.

„das ich es echt feier wenn ein Mädchen eifersüchtig auf mich ist. (…) Weil dann merkst du einfach auch das du dem anderen was bedeutest und es ihm nicht egal ist. Vor allem das er auch Angst hat dich irgendwie zu verlieren und das ist wirklich wichtig, dass man… der andere Angst hat einen zu verlieren. Weil das zeigt dass du ihm wirklich wichtig bist.“ – MoritzGarthTV (Gesamt: 245.287 Abonnenten • 12.426.970 Aufrufe)

Eben dieser Teenager verkauft auch gerne Gewaltandrohungen an Frauen, als „scherzhaft gemeinte, liebevolle Geste“.

„Macht das also egal was der Junge sagt, obwohl wenn er euch Schläge androht und dann echt ausrastet… ihr solltet merken wann das ernst meint und wann er euch damit aufziehen will. Hoffe ich doch.“ – MoritzGarthTV (Gesamt: 245.287 Abonnenten • 12.426.970 Aufrufe)

Dieses erzkonservative Weltbild wird ihnen heute von einem jungen Mann präsentiert, der jetzt Musik macht und sein erstes Album promotet. Für seinen YouTube-Erfolg hat auch er seine ehemalige Beziehung von der Entstehung bis zur Trennung vor die Kamera gebracht. Schließlich sind die Fans am Privatleben ihrer Stars interessiert, welches nicht nur auf YouTube, sondern mittlerweile auch auf Instagram und Snapchat täglich geteilt wird.

Die YouTuber*innen müssen trotz ihres immer größeren Erfolgs nahbar bleiben, während sich im Hintergrund bereits Firmen, Manager und Unternehmen die Hände reiben. Willkommen im heutigen Showbusiness. Selbstdarstellung von Personen des Öffentlichen Lebens funktioniert auf YouTube im Gegensatz zum Rest der Welt versteckt und genau darin liegt für mich das Problem.
Die Menschen vor der Kamera seien wie du und ich. „Jede*r kann das schaffen“ ist die Botschaft und mit diesem Image werden Millionen verdient und vor allem Teenager getäuscht. Ich hätte mit 13…14 Jahren dieses Geflecht nicht wahrscheinlich nicht durchschauen können und das weiß die YouTube Szene. Aus meiner Sicht ein aktiver Täuschungsversuch.
Sobald die Kamera aus ist, weiß man als Zuschauer*in nicht mehr was als nächstes passiert. Vor der Kamera sind immer alle glücklich. Streit und Meinungsverschiedenheiten? Eher künstlich. Wenn sich Dagi Bee und Liont trennen, dann sitzen sie danach vor der Kamera und knuddeln. Natürlich bleiben sie Freund*innen, natürlich verstehen sie sich noch super und den Punkt an dem sie sich trennen, der war beiden sofort und freundschaftlich klar. Trennungen die im Streit enden sind in unserer Gesellschaft ein Zeichen des Scheiterns und scheitern, das möchte man in der Öffentlichkeit nicht.

Auch Moritz Garth und Ambre Vallet (Gesamt: 144.781 Abonnenten • 7.839.829 Aufrufe) trennen sich natürlich nur ungern. Unüberbrückbare Differenzen heißt es. Ein „Drama“, dass es bis in die Bravo schafft und eine Ausrede, die man nur zu gut aus allen anderen öffentlichen Beziehungen kennt. Wie auch in Hollywood spekuliert die Fangemeinde nach der Trennung über die Gründe ihrer Idole. Ein späteres Video von Ambre über Betrug, falsche Versprechen und fehlendes Vertrauen zeigt, wie unglücklich das Traum-Pärchen gewesen sein muss. Ein Statement von Moritz fehlt. Er konzentriert sich auf das Album, seine EP und seine Fans. Ein Profi eben.

Solche Dramen interessiert die Fangemeinde, der Tratsch über Bibi und Moritz hält ganze Jugendzeitungen auf Trapp und das Geschäft ist mittlerweile so lukrativ, dass Michael Brycz (ehemals Managing Director Frontline bei Warner Music) in das Unternehmen Divimoove einsteigt. Ein Multi-Channel-Netzwerk, dass Unternehmen die Möglichkeiten bietet mit den unter Vertrag stehenden YouTuber*innen zu werben, sowie Produktplatzierung und Schleichwerbung vermittelt. Solche Firmen machen mittlerweile mehrere Millionen Umsatz und waren fast unbekannt bis Mediakraft durch Unges Video ins Licht der Öffentlichkeit rutschte.

Nie war es einfacher sich in die Jugendliche Zielgruppe einzukaufen, denn Produktplatzierung wird nur minimal gekennzeichnet und gerne von YouTubern als positives Geschenk, oder in einer Verlosung verpackt. Transparenz sieht anders aus. Erneut werden Menschen und vor allem Teenager bewusst getäuscht. Divimove (2012 von ehemaligen Zalando Mitarbeitern gegründet) verzeichnet mit seinen 1.700 Kanälen (oder wie sie sagen: Talenten, oder Social Influencer) im Monat geschätzt 900 Mio. Views. Ein Markt in den mittlerweile auch deutsche Privatsender eingestiegen sind. Divimove selbst gehört mittlerweile zu 51% FreemantleMedia/RTL. ProSiebenSat1 besitzt mit Studio71 ihr eigenes Unternehmen. Der gewaltverherrlichende Moritz Garth steht im Übrigen bei Divimove unter Vertrag und wird dort als „Musik-Talent“ geführt wird.

Was das alles noch mit Liebe zu tun hat? Nichts. Weder Teenage-YouTube-Stars, noch den Unternehmen hinter ihnen ist das Thema wichtig. Aber es gibt Klicks und Klicks bedeuten Geld und das wird auf YouTube intransparent und mit Abzocker-Methoden verdient. Wenn ich also in Zukunft etwas über Liebe, Sex und Beziehungen erfahren will, dann schaue ich lieber Laci Green oder Dr. Doe und wer weiß, vielleicht gibt es bald auch gute deutsche YouTuber*innen die sich dem Thema widmen.

(Stand 30.07.2016)