Hiroshima und der japanische Antimilitarismus

An der Museumswand hängen drei Fotografien von Menschen und ihren körperlichen Folgen auf Grund der Atombombe. Verformungen im Gesicht, abgefallene Haut, zerzauste Haare, Schmerzverzerrte Gesichter. Darunter übrig gebliebende, halb zerstörte Kleidungsfetzen.

Während tausende Menschen auf den Straßen Tokyos gegen die geplante Verfassungsänderung protestieren, stehe ich vor dem Gästebuch des „Peace Memorial Museums“. Ein sehr gemäßigter Name für das Friedensmuseum Hiroshimas, das bis ins kleinste Detail die Folgen des Atomschlags der USA 1945 zeigt.
50Yen (ca 50ct) kostet der Eintritt. Für etwas mehr bekommt man einen Audio-Guide, der einem in vielen Sprachen das Grauen der einzelnen Ausstellungsstücke präsentiert.

Nach der Hälfte schalte ich ihn aus, zu traumatisierend sind die Geschichten. Als die USA mit der Atombombe „Little Boy“ ganz Hiroshima und auf einen Schlag 80.000 Menschen von der Landkarte löschten, explodierte nicht einmal das gesamte Material. Die geplante Katastrophe hätte schlimmer ausgehen sollen.

An der Museumswand hängen drei Fotografien von Menschen und ihren körperlichen Folgen auf Grund der Atombombe. Verformungen im Gesicht, abgefallene Haut, zerzauste Haare, Schmerzverzerrte Gesichter. Darunter übrig gebliebende, halb zerstörte Kleidungsfetzen.
Das Bild des Ergebnisses ist so schlimm, dass der anwesende Fotograf lediglich in der Lage war, ein einziges Foto zu schießen. Bis heute ist es das einzige Bild, das die Stadt direkt nach dem Anschlag zeigt. Brennende Menschen. Die Haare zerzaust, die Haut verbrannt, häufig bis zur Unkenntlichkeit.

Viele Leichen können nur noch an ihren Habseligkeiten identifiziert werden. Beispielweise der Name auf der verbrannten Brotdose oder eine Halskette sind jetzt die Dinge, die den Angehörigen die traurige Nachricht übermitteln und Gewissheit schaffen. Die Menschen, die nicht durch den direkten Tod von einem Leiden verschont geblieben sind, laufen schreiend durch die Straßen, liegen noch atmend aber völlig verkohlt am Boden oder hatten durch die Druckwelle ganze Körperteile verloren. Leiden, Schmerzen, Tortur, … all diese Begriffe können für mich nicht mal ansatzweise das Gesehene beschreiben, als ich später Menschen versuche, meine Erfahrungen im Museum zu Schildern.

Bilder, Modelle, Mauerstücke, Nachbildungen und Menschen-Attrappen mit verbannter, sich vom Körper lösender Haut erzeugen eine Totenstille im Museum. Angestellte erklären Ausstellungsstücke und ihre Geschichte mit typisch japanischer Freundlichkeit bei Bedarf auf mehreren Sprachen. Doch irgendwann wird es mir zu viel. Spätestens bei den gezeigten medizinischen Folgen und plötzlich ewig lang wachsenden schwarzen Fingernägeln mit Blutgefäßen mache ich den Audio-Guide aus.
Die Bilder mit schwarzem Regen und schreienden Kindern sind erschütternd genug.
So gehe ich weiter benommen durch eine Ausstellung, die so viel Leid zeigt, dass sie für einen Menschen kaum zu erfassen ist.

Der Cenotaph in Hiroshima in dem das ewige Licht glüht. Es handelt sich dabei um ein Zerstörtes Gebäude von dem nur noch die starken Außenwände und Stahlkonstruktion der ehemaligen Kuppel erhalten ist.

Am Ende der Ausstellung steht ein Gänseblümchen, das sich aus den Ruinen der zerstörten Stadt erhebt. Ein Zeichen der Hoffnung in einer Stadt, bei der man dachte, sie sei für Jahrhunderte verloren. Doch Hoffnung habe ich nicht, als ich das Museum verlasse. In mir ist eher ein Gefühl der Benommenheit und des Schreckens. Das Gästebuch am Ende des Museums kommt für mich eher einem Kondolenzbuch gleich. Die niedergeschriebenen Worte sind von Pazifismus geprägt und zeigen die bedrückte Stimmung der Besuchenden aus aller Welt. Der nette Japaner, der mir die japanischen Einträge übersetzt und ich sitzen im Anschluss noch im Hiroshima-Park und starren auf den Cenotaph. Sein „Ewiges Licht“ soll so lange brennen, bis die letzte nukleare Waffe auf der Welt zerstört ist. Ich muss über diesen Optimismus nur lächeln. Nach dem, was ich heute gesehen habe, fällt es mir schwer, das Positive im Menschen zu sehen und die Hoffnung ernst zu nehmen.

Später auf meiner Rückfahrt geistern mir die Ausstellungsstücke noch immer durch den Kopf. Bis heute sehe ich die schwarzen Fingernägel vor meinen Augen, als sei es gestern gewesen. Das Museum hat Eindruck hinterlassen, und obwohl das Fotografieren ohne Blitz erlaubt war, fällt mir auf, dass ich lediglich zwei Bilder geschossen habe. Eins davon ist verwackelt. Zurück in Tokio erzählt mir mein japanischer Mitbewohner, dass über 100.000 Menschen auf der Demonstration gewesen sein sollen.

Fotografie des aktuellen Fernsehprogramms. Es zeigt das vom IS veröffentlichte Bild des gefangenen Journalisten, wie er ein Foto eines Mannes hält.

Seit dem zweiten Weltkrieg darf in Japan das Militär lediglich zur Landesverteidigung eingesetzt werden. Das soll jetzt durch eine Verfassungsänderung geändert werden. Bereits im Januar 2015 wurde die japanische Bevölkerung von dem Tod eines Journalisten durch den IS getroffen. Der IS hatte begonnen, auch japanische Journalisten zu entführen, nachdem Japan IS Gegner mit 200 Millionen Dollar unterstützt hatte.
Der Schock sitzt tief, ich und mein Host in Nikko verfolgten das Geschehen stündlich im Fernsehen, und nun möchte man die Verfassung ändern und sich an der Seite der USA noch weiter in das Kriegsgeschehen einmischen, das einem Journalisten und Vater das Leben kostete. 

„Wir müssen andere Wege als den Militärschlag finden“ ist die Kernaussage der Japaner*innen, mit denen wir den Abend in Tokio verbringen. Die USA seien die, die nun dafür sorgten, dass Druck auf Japan ausgeübt werde, ihr Militär zu verändern. Sie bräuchten einen starken Partner in Südostasien. Doch die jungen Japaner*innen wollen kein Kriegspartner werden und nach all dem, was ich am heutigen Tag gesehen habe, kann ich den Antimilitarismus der Menschen verstehen, die heute auf der Straße waren. Gebracht hat das nicht viel. Die Militärreform wurde durchgesetzt, die Verfassung geändert.

Kleiner Reisetipp: Solltet ihr Hiroshima besuchen, nutzt das Angebot der JNTO. Gegen die Bezahlung der Fahrtkosten und eines Mittagessens erhält man den besten Eindruck der wunderschönen Stadt durch eine*n Einheimische*n.