Die Frau im fremden Land – Ein Beitrag über das Reisen allein

Blick auf das leuchtende Continental Schild des Continental Hotels in Bogota.

Ich reise jetzt einmal allein um die Welt. Mal sehen wie weit ich komme. So oder so ähnlich waren meine Gedanken, als ich jung und naiv mein erstes Flugticket nach England gebucht hatte.
Willst du das wirklich machen? Bist du ohne Organisation abgesichert? Warum alleine? Als Frau?! 11 Länder, 3 Kontinente und 1,5 Jahre später waren viele Bedenken meines Umfeldes berechtigt, doch es ist lange nicht so schlimm, wie viele Menschen vermuten.

Allein Reisen

Allein mit meinem Rucksack zu reisen hat für mich etwas entspanntes aber auch einsames. Wann immer ich an einen neuen Ort komme, kenne ich keine einzige Person, manchmal spreche ich nicht einmal die Sprache und häufig bin ich mit völlig neuen Kulturen konfrontiert, in denen ich mich erst zurechtfinden muss. Das Ankommen an einem neuen Ort ist häufig nicht einfach und für mich jedes Mal eine deutliche Tiefphase der Reise. Das Alleinsein zwingt mich jedoch auch, auf neue Menschen zuzugehen, mich nicht bereits mit bekannten Menschen zu umgeben, sondern über meinen Horizont hinauszuwachsen und mich bewusst auf fremde Kontakte einzulassen. Menschen in Hostels, auf Meet-ups,oder der Couchsurfing-Host werden zu Anlaufpunkten und bieten oft einen besseren Eindruck als jede*r Reiseführer*in. Ich habe Freundschaften auf Reisen zerbrechen und entstehen sehen. Es ist ein auf und ab. Ein Vorteil des Allein-Reisens ist, dass man nicht auf die Meinung, Reiserouten und Wege anderer Menschen angewiesen ist. Möchte man etwas machen, dann tut man es. Möchte man einen anderen Weg gehen, dann geht man ihn. Rückblickend war es die beste Entscheidung, ganz allein in die große weite Welt hinauszugehen. Nichts hat mich weiter gebracht als diese Erfahrung.

Reisen als Frau

Fragen wie „Ist das als Frau allein nicht gefährlich?“, oder Aussagen, die unterschwellig „Ich finde, eine junge Frau sollte nicht allein per Mitfahrer reisen“ implizierten, gehörten zum Standard. Andere junge Frauen, denen ich auf meiner Reise begegnet bin, erzählten mir Ähnliches. Ja, je nach Land ist es anders, als Frau allein zu reisen, dennoch werden die großen Probleme für alle Reisenden dieselben sein, egal welchem Geschlecht sie sich zuordnen. Wie komme ich an einen Job? Wo finde ich eine Unterkunft? Welche Reiseroute möchte ich nehmen? Wofür ist es am sinnvollsten, Geld auszugeben und welchen Luxus gönne ich mir? Es ist nur ein Ausschnitt aus einem langen Fragenkatalog, der sich im Laufe der Reise ewig in meinem Kopf wiederholt hat und keinesfalls an ein Geschlecht gebunden ist. Andere Frauen erzählten mir, dass von ihnen ab und an Sex als Gegenleistung für bestimmte Hilfe, Jobs, Schlafmöglichkeiten angeboten wurde, ich selbst stand nur einmal vor dieser Situation. Wer jetzt jedoch denkt, dass dieses ausschließlich Frauen trifft, der irrt. Auch Männer erhalten solche natürlich „total unverbindlichen“ Angebote, auch Männer werden sexuell belästigt und wahrscheinlich gibt es auch Männer, die vergewaltigt werden. Männer mögen körperlich stärker sein und sind daher bestimmt seltener auf offener Straße Entführungen oder Vergewaltigungen auf ihrer Reise ausgesetzt, doch oft ist es deutlich subtiler. Als Backpacker ist man ab und an auf Hilfe anderer Menschen angewiesen und ihnen ausgeliefert, ein Machtgefälle, das schnell ausgenutzt werden kann, ganz egal ob die reisende Person männlich, weiblich oder anderes ist. Oft hat man es als Frau sogar einfacher. Fahre ich per Mitfahrgelegenheit oder Anhalter, dann werde ich schneller mitgenommen. Ich wirke weniger bedrohlich und auch allein fahrende Frauen nehmen lieber andere Frauen als fremde Männer mit. Das Per-Anhalter-fahren hat tatsächlich wie nichts anderes mein positives Menschenbild geprägt. 90% der Menschen, die mich häufig kostenlos durch halb Europa gefahren haben, hinterließen bei mir einen positiven Eindruck.

Die ersten Probleme als allein reisende Frau hatte ich in Marokko. Die Jobzusage hatte ich bereits vor der Ankunft im Land, mein Arbeitsplatz als Lehrerin war gut bezahlt. Die Schüler mochten mich, die Eltern mochten mich und durch meinen Beruf, meiner Bildung und meiner Hautfarbe genoss ich großes Ansehen. Die ersten Komplikationen entstanden, als ich in eine eigene Wohnung ziehen wollte. Die Vermieter wollten nicht an weiße Frauen vermieten, schon gar nicht, wenn sie alleinstehend sind. Als ich schließlich eine kleine Wohnung gefunden hatte, musste ich die doppelte Miete zahlen, da ich als Europäerin ja garantiert Geld hätte. Nachdem Nachbar*innen jedoch feststellten, dass eine nicht muslimische Frau in dem Gebäudekomplex wohnte und nicht einmal einen Mann bei sich hat, wurde mir nahegelegt zu gehen. Ich zog schließlich zu der Familie meines Chefs, die jedoch durch meine Anwesenheit auch ein paar Probleme bekam, allerdings ein so hohes Ansehen genoss, dass ich bleiben konnte. Ich verstehe, warum weiße Frauen das Leben in einigen arabischen Ländern als anstrengend empfinden. Die Flirtkultur ist anders und vergleichsweise anstrengend. Als weiße Frau genießt man unter Männern häufig den Wert eines Statussymbols oder wird als Möglichkeit gesehen, ein Visum nach Europa zu erhalten, wodurch man aus Sicht vieler Mütter eine gute Partie ist. Hat man die Regeln jedoch verstanden, ignoriert Flirtversuche, oder weiß sie abzulehnen, dann kann man sich damit abfinden. Nachdem ich gelernt habe, mit dem Verhalten umzugehen und jeden Flirtversuch abzuschmettern wusste, wurde es auch hingenommen. Es kostet lediglich Kraft. Handgreiflich, aufdringlich oder aggressiv wurde mir gegenüber nie ein Mann. Lediglich einer folgte mir durch alle verwinkelten Straßen, mit vier bis fünf Metern Abstand, doch die Menschen in meinem Häuserblock halfen mir und wussten ihn gezielt abzulenken, so dass ich mich aus dem Staub machen konnte.

Normalerweise bewege ich mich hauptsächlich in männlichen Freundeskreisen, während des Reisens lernte ich den Vorteil von Frauengruppen kennen. Als einzelne Frau hat man in vielen Ländern der Welt nicht viel zu sagen, als Gruppe findet man häufig einen Weg, bestimmte Ziele durchzusetzen. Hatte ich mit einem Mann Probleme, weil er mich nicht als gleichwertig ansah, so freundete ich mich mit seiner Frau an, denn ganz egal wie groß er im Büro war, zu Hause hat fast immer die Frau die Hosen an und kann gezielt Themen auf den Tisch bringen. In den arabischen Ländern hatte ich aufgrund meiner Hautfarbe und Herkunft einen hohen Stellenwert und wurde häufig anerkannt. Anders erging es mir in Japan, wo schon die Beantragung einer Arbeitserlaubnis zur Höllenfahrt wurde. Wer denkt, dass Deutschland ein Bürokratiemonster ist, war noch nicht in Japan. Japan ist keines der Länder, in denen man gerne eine Frau sein möchte, schon gar nicht eine ausländische Frau.

Shinjuku in Tokio bei Nacht. Die Häuser haben an der Außenwand viele neon-licht-Schilder, welche in die Straße reichen.
Mein Gehalt liegt deutlich unter dem meiner männlichen Kollegen, zum Teil bis zu 25%. Um in Japan erfolgreich zu werden, muss man männlich, japanisch und gut gebildet sein sowie die richtige Kleidung tragen. Im Büro trage ich Business Kleidung und hohe Schuhe. In Deutschland gelten Japaner*innen als übertrieben fleißig, dabei ist diese übertriebene Arbeitskultur gar nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern resultiert aus dem japanischen Gesellschaftsbild. Trotzdem verbringen wir vor Objektabgaben manchmal Nächte im Büro und stehen am nächsten Tag trotzdem um 7 Uhr auf, nur auf Grund des japanischen Müllentsorgungssystems. In einer Bar lerne ich eine junge Frau kennen, die mich fragt, ob ich ihr einen amerikanischen Mann vorstellen könnte, von dem sie weiß, dass ich ihn kenne. Sie habe lieber ein bisschen Spaß mit Ausländern, japanische Männer würden immer sofort heiraten wollen und dafür sei sie noch nicht bereit. „Noch nicht“ impliziert aber auch hier die Idealvorstellung von Mann und Kind, für die die meisten Frauen ihren Beruf aufgeben und Hausfrau werden. In unserer Firma arbeitet eine einzige Frau mit Kind, auch sie ist Ausländerin. Diese erzählt mir, dass auch immer mehr japanische Frauen gerne zurück in den Arbeitsalltag gehen würden, jedoch dass Versorgungssystem für das Kind in Japan zu schlecht ist. Kitaplätze sind rar und für viele japanische Männer sei die Vorstellung, wie ihr Mann auch mal zu Hause zu bleiben und sich um das Kind zu kümmern, undenkbar.

Möchte ich in Tokyo in eine Wohnung ziehen, dann gibt es kein Problem auf Grund meines Frau-seins, sondern, weil ich nicht japanischer Staatsbürger bin. Eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis reicht nicht aus, sondern es bedarf eines zusätzlichen Japaners, welcher für mich eine Bürgschaft übernimmt.

Ein Blick auf den Eingang der Ueno Metro Station. Über eine Treppe gelangt man zu den Gleisen, oberhalb der Gleise befinden sich Restaurants.
Das Aussehen macht vieles aus in einem Land, in dem sogar Taxifahrer Anzug tragen und junge Mädchen unter ihrem Schulmädchenrock auch bei minus sieben Grad keine dicke Strumpfhose tragen. Alles am weiblichen Körper wird sexualisiert und in die richtigen Proportionen gedrückt. Übertriebene Werbung an jeder Ecke hämmert mir die idealen Schönheitsmerkmale in den Kopf. Es gibt Zugabteile für Frauen, um übergriffigen Männern zu entgehen, und süße junge Schulmädchen in hübschen sexualisierten Kostümen, die Handzettel austeilen und zu Massagen und Gesprächsrunden für Männer einladen. Prostitution ist illegal.

Schnell stelle ich das Kaufen von neuer Unterwäsche ein, da ich keine BHs finde, die nicht mindestens über drei festgenähte Fütterungen verfügen. Meine durchschnittliche europäische Hüfte trägt hier gerne mal dreifach L und das Kaufen von Schuhen ist ein Graus. Nach dem Verlassen der japanischen Landesgrenzen hat sich in meinem Kopf ein stetiges „Ich bin zu dick“ eingebrannt, auch wenn mir die Unsinnigkeit bewusst ist. Als Frau musst du schön und attraktiv sein, als Mann den gesamten Tag arbeiten und erfolgreich werden. Das Geschlechterbild ist starr und unverrückbar. Zurück in Deutschland atme ich tief durch. Ja, auch wir haben beim Thema Gleichstellung noch viel Potenzial und müssen definitiv noch Aspekte verbessern, doch manchmal sind es solche Erfahrungen, die einem vor Augen führen, wie viel wir bereits geschafft haben.

Related posts