10. Reisetürchen

Rouen (Frankreich)

Oktober 2014

Die Amerikanerin schreit das halbe Haus zusammen als sie im Büro von der Leiter fällt. Wir rufen den Krankenwagen und ich rede ihr gut zu. Was genau weh tut kann man nicht sehen. Vor Weinen bekommt sie keinen ganzen Satz mehr heraus. Ihr Gesicht ist verkrampft, dass Reden hat sie komplett eingestellt und doch wird sie panisch als sie die Sirenen des Krankenwagens hört. Panisch wehrt sie sich transportiert zu werden. Es braucht vier Männer, um sie mitnehmen zu können.

Wir alle machen uns große Sorgen, kaufen den Tag noch kleine Geschenke und besuchen sie am Abend im Krankenhaus. Ein Bein und ein Arm sind gebrochen, mehr ist nicht passiert. Alles wird wieder gut verwachsen und wir sollen uns keine Sorgen machen. Alle sind erleichtert. Die Reaktion hat viel schlimmeres suggeriert. Die Amerikanerin jedoch weint immer noch. Sie könne jetzt nicht arbeiten. Ich lächle nur.

Ich bin ein Workaholic und verstehe nur zu gut, dass ohne Arbeit im Krankenhaus rumliegen eine Horrorvorstellung sein kann. Sie jedoch ist mittlerweile komplett weiß im Gesicht, weint immer und immer wieder und möchte immer noch keine Unterhaltung führen. „Wenn ich nicht arbeiten kann, kann ich die Krankenkassenrechnung nicht bezahlen.“, sagt sie irgendwann leise und rechnet uns vor wie viel Geld sie ggf von uns Anfragen müsste. Wir gucken sie an. „Du bist versichert.“, sagt meine Kollegin mit einem Lächeln. Die Amerikanerin schüttelt den Kopf. Sie habe keine Auslands-Versicherung abgeschlossen, dachte daran könnte man sparen und nun müsste sie wahrscheinlich ein Leben lang die Rechnung zurückzahlen und wahrscheinlich sogar einen Kredit aufnehmen.
„Du bist in Frankreich. Du bist hier angestellt und hast einen Job. Die Karte die wir dir gegeben haben ist einer Versichertenkarte.“, sagt unsere Chefin. „Selbst den Eigenanteil von 30% bekommen wir hier bestimmt gestemmt. Schließlich ist der Unfall ja im Büro passiert.“ Die Amerikanerin guckt uns an als hätte sie ein Gespenst gesehen. „Das wird bezahlt?“, fragt sie ungläubig. Meine Chefin nickt. Alle Tränen sind plötzlich vergessen.

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